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Samstag, 4. April 2020

7 Monate – Abgerissen, abgehackt, gestohlen… #fuckcorona


7 Monate – Abgerissen, abgehackt, gestohlen… #fuckcorona

Wie ihr der Überschrift schon entnehmen könnt, wird das hier leider nicht der übliche „Wow krass schon 7 Monate in Malawi und ich bin sooo glücklich hier“ Blogeintrag, denn leider schreibe ich diesen Eintrag nicht in meinem Haus in Ludz,i im Innenhof bei wunderschönem Sonnenschein, sondern auf meinem Bett im kalten Kiel, in Deutschland.
Wie es dazu kam, erfahrt ihr jetzt:

Noch vor 2 Wochen war ich super glücklich in Malawi, ich hatte meinen Zwischenbericht endlich fertig geschrieben (einen Monat zu spät..), plante auch mal wieder einen neuen Blogeintrag, denn es war so viel passiert seit Januar.. Term 2 neigte sich dem Ende zu und ich war stark damit beschäftigt meine Schülerinnen auf die Examination vorzubereiten. Fast jeden Tag trafen wir uns mit den neuen Studentteachern, die für Term 2 und 3 nach Ludzi gekommen waren, um an der Schule ihr praktisches Semester zu machen. Sie wurden schnell zu richtig guten Freunden und beim gemeinsamen kochen, tanzen und singen hatten wir sehr viel Spaß. Aber auch mit unseren alten Freunden und den Boardingmädchen verbrachte wir richtig viel Zeit, sodass wir wirklich jeden Tag super busy waren schon etwas im Freizeit und Sozialkontaktstress.. :D
Wir hatten auch unsere Reise für die Osterferien geplant, eigentlich mit meiner Mutter und meiner Tante zusammen, aber da machte uns Corona schon den ersten Strich durch die Rechnung, denn das Malawische Government verhängte einen Einreisestopp für Reisende aus Deutschland und mehreren anderen europäischen Ländern, da der berühmt berüchtigte Corona Virus sich immer stärker und gefährlicher in diesen Ländern ausbreitete.
Das war zwar erst mal ziemlich blöd, aber wir entschieden uns dann schnell gemeinsam mit einem anderen Freiwilligen zum Liwonde National Park zu fahren und den Mount Mulanje zu besteigen, und freuten uns schon sehr auf diese Reise.

Chorona breitete sich immer weiter aus und wir hörten nur noch Horrornachrichten, wenn wir mit unseren Familien aus Deutschland telefonierten: Schulen wurden geschlossen, Geschäfte mussten schließen und in Italien gab es mehrere Tote...
In Malawi jedoch war von Corona noch nicht wirklich etwas zu spüren und so war dieser Virus für uns ganz weit weg. Auch von unsere Organisation kam die Bestätigung: „Momentan seid ihr in euren Einsatzländern viel sicherer als in Deutschland.“ Ein eventueller Abbruch des Einsatzes deswegen, lag für uns in weiter, nicht vorstellbarer Ferne.

Doch dann am Montag den 16. März 2020 kam die für uns komplett überraschende und alles auf den Kopf stellende Nachricht.
Wir waren grade in der Library zusammen mit unserem besten Freund, der Geburtstag hatte.
Es war eine super schöne und ausgelassene Stimmung. Als ich nur kurz einmal auf mein Handy schaute, sah ich dann die Nachricht meiner Organisation: „Ruf uns bitte mal ganz schnell an!“ Mich beschlich schon direkt ein mulmiges Gefühl, das kurz darauf auch bestätigt wurde. „Es tut mir wirklich leid, ich mach es kurz und schmerzlos: Ihr müsst leider zurück nach Deutschland. Höchste Anordnung vom deutschen Staat. Sie machen die Grenzen dort langsam zu und falls Corona nach Malawi kommt, könnt ihr nicht mehr raus. Alle weltwärts Freiwilligen werden zurückgeholt.“ WUMS!
Da war der Satz, der alle Pläne, alle Vorhaben und Versprechen zunichte machte, der uns fast 5 Monate unseres Jahres einfach so wegnahm.
An diesem Tag weinte ich nur noch und auch die Nacht schliefen Uta und ich nur 2 Stunden, denn wir wussten nicht, wann wir zurück mussten. Es konnte morgen sein, den Tag danach oder erst am Wochenende. Daher beschlossen wir, die Zeit, die uns noch in Ludzi blieb, so gut es ging auszunutzen und nicht mit schlafen zu verschwenden .
In dieser Nacht telefonierten wir fast durchgehend mit unserem besten Freund und buken 2 Kuchen überm Feuer, (denn, kleiner Funfact, seit fast 2 Monaten hatten wir nun schon keinen Strom mehr) für unsere Freunde, die Geburtstag hatten, und versuchten unsere Verzweiflung mit Amarula und unseren letzten Schokoladenvorräten zu verarbeiten:D

Meine Klasse 7a
Am nächsten Tag mussten wir uns dann schon mal an unseren Arbeitsplätzen verabschieden, ich mich also in der Schule von meinen Schülerinnen und einigen Kollegen. Gemeinsam mit meinen beiden Klassen versuchte ich noch ein Gruppenfoto zu machen, was semi optimal klappte, denn wenn 120 Mädchen alle auf ein Foto wollen und am besten auch alle neben mir stehen möchten, wird das ganze etwas schwierig. :D Und dann das ganze zwei mal, ist wirklich sehr nervenaufreibend..
Meine Klasse 7b
Ich unterrichtete ein letztes mal in der 7a und der 7b und verabschiedete mich dann unter Tränen von jedem Mädchen mit einer Umarmung. Auch viele der Mädchen mussten weinen, was die ganze Sache nicht wirklich einfacher für mich machte, und fragten warum ich denn gehen müsse und nicht bei ihnen bleiben könne, sie würden mich einfach irgendwo verstecken..:D… Sie gaben mir kleine Briefe und die Nummern ihrer Eltern, damit ich sie aus Deutschland anrufen könne.

Nachmittags bekamen wir dann die Nachricht, dass wir Samstag fliegen würden und uns somit noch ein paar Tage Zeit zum endgültigen verabschieden blieben. Das gab uns wenigstens noch etwas Zeit ein paar letzte Dinge zu regeln und zu unternehmen.
Mittwoch hatten wir nochmal die Möglichkeit, gemeinsam mit einem Freund nach Lilongwe zu fahren, um Fotos auszudrucken und uns nochmal mit Chitenjen, den bunten langen Stoffen, einzudecken. Auf dem Rückweg besuchten wir noch die Familie unseres Freundes, was wir schon lange geplant hatten und sonst leider nicht mehr dazu gekommen wären.
Jetzt war es zwar ein recht kurzer, aber dafür umso schönerer Besuch und ich bin wirklich sehr glücklich, das wir das noch machen konnten.
Die nächsten Tagen verbrachten wir mit tausenden Besuchen bei verschiedenen Schneidern, um noch die letzten Kleider nähen zulassen, mit den letzten Besuchen von ganz vielen Freunden, ein letztes mal gemeinsam Nsima mit Soyapieces essen, ein letztes mal Stockbrot ein letztes mal Mandazi, ein letztes mal Chipisi.
Wir kauften Nsima Sticks, Berge von Soyapieces und stampften Chiponde-Erdnussbutter- für einige Freunde und die Schwestern, schrieben Karten und bastelten Erinnerungskärtchen für die Mädchen.
In diesen 4 Tagen haben wir vielleicht wenns hoch kommt 10 Stunden geschlafen und waren am Ende einfach nur noch fertig, aber ich habe das Gefühl, dass wir die Zeit, die uns blieb noch richtig ausgenutzt haben, auch, wenn wir leider nicht all unsere Freunde nochmal treffen konnten um uns zu verabschieden.

Die Boardingmädchen
Am letzten Tag frühstückten wir gemeinsam mit unserem besten Freund und nachmittags bereiteten die Mädchen noch eine kleine Abschiedsfeier in der Dyning hall für uns vor. Einige von ihnen perfomten Abschiedssongs für uns und überreichten uns noch kleine Geschenke.



Es war wirklich super süß und schön noch einmal mit allen Mädchen zusammen zu sein.

Abends waren wir dann noch ein letztes mal bei den Schwestern eingeladen und verbrachten einen wirklich sehr schönen Abend mit viel Lachen und Tanzen.
Auch sie waren traurig, dass wir unseren Einsatz jetzt schon viel früher als geplant beenden mussten und luden uns ein immer wieder zu kommen, wenn wir Malawi besuchen.

Um ca. 23:00 Uhr fingen wir dann langsam an unsere Koffer zu packen, eine Sache, die wir die ganzen letzten Tage vor uns hergeschoben hatten, weil wir einfach nicht war haben wollten, das wir wirklich, wirklich gehen müssen. Ziemlich dumm, denn jetzt waren wir eigentlich viel zu übermüdet, um irgendetwas zu machen, aber am Ende haben wir es doch noch irgendwie geschafft, zwar mit ein paar emotionalen und wütenden Zusammenbrüchen, aber es waren sogar noch zwei Stunden Schlaf drin.

Samstag morgen ging es dann nach den letzten Verabschiedungen gemeinsam mit den Schwestern nach Lilongwe zum Flughafen. Dort trafen wir dann auf die anderen Maz- Freiwilligen, die uns direkt mit Mundschutze versorgten.
Und so verließen wir dann einige Stunden später unser geliebtes Malawi - 5 Monate zu früh.


Schon 15 Stunden später betraten wir wieder Deutschen Boden.
Frankfurt am Main Flughafen. Außentemperatur 1C°. Abstand halten, keine Berührungen, Hände waschen, nicht ins Gesicht fassen, Menschenmassen meiden. Corona oder besser gesagt Covid-19 ist Realität. Menschen mit Masken. Weiße Menschen. Keine Begrüßungen. Keine Zeit.






Richtung Kiel mit dem Auto.
Keine Kühe auf der Straße oder Ziegen. Keine Guaven oder Süßkartoffelberge. Keine Maisfelder. Keine grünen Bäume. Keine Menschen auf der Straße oder Fahrräder mit allem möglichen beladen.
Stille.


Zurück in Kiel. Zuhause? Irgendwie nicht. So viele Autos, so riesige Häuser. Wohnen wir eigentlich in einem Schloss? In was für einer Welt habe ich eigentlich mein Leben lang gelebt? Meine Heimat scheint mir auf einmal ganz fremd. Und es ist so kalt. Ich will wieder zurück, habe Heimweh. Heimweh nach eine Ort der die letzten 7 Monate wirklich zu meinem Zuhause, meinem Heim geworden ist. Heimweh, nach so vielen tollen und lieben Menschen, die beim Lachen meine Hand nehmen und rein klatschen, die mich immer fragen, wohin ich gehe und wie es mir geht, die mit mir teilen, die mich immer bei sich aufnehmen, mir Chichewa beibringen und mich nach Hause begleiten. Heimweh nach Wärme, Heimweh nach Essen, das mit der Hand gegessen wird. Heimweh nach einem Lebensgefühl, das frei von Zeitdruck, Panik und Stress und voll von „im Moment leben“ und „sich treiben lassen“ war.


Versteht mich nicht falsch.Es ist nicht alles scheiße in Deutschland und in Malawi super perfekt.
Ich bin froh in Deutschland geboren sein zu dürfen und ich mag meine Heimat. Ich liebe den Strand, die Ostsee, die Wälder, den Schnee, Joghurt, Käse, Schwarzbrot und Schokolade, meine Freunde und meine Familie.
Aber ich liebe auch Malawi und jetzt grade würde ich alles dafür geben, wieder zurück zu dürfen, auch wenn ich weiß, dass ich jetzt grade, so wie die Situation in der Welt grade ist, dort nicht sein kann. Es ist vernünftig hier zu sein. Es würde nichts bringen dort zu sein, denn die Schulen sind jetzt sowieso alle geschlossen..
Aber ich wünsche mir eben mein Malawi vor Corona wieder. Mein Leben in meiner kleinen Blase in der Fantasiewelt, die Uta und ich uns gemeinsam aufgebaut haben, denn unser Realität, war natürlich nicht die, von den meisten Malawiern, die dort ihr Leben lang leben…
Wir hatten nie Geldprobleme, mussten nie Angst haben, nicht genug zu essen zu haben. Wir werden studieren können, ganz einfach, ohne Probleme. Wir hatten das Privileg ein anderes Land, eine andere Kultur kennen lernen zu dürfen. Privilegien, die wir einfach so haben, weil wir in Deutschland geboren sind. Viele der Menschen, die ich in Malawi kennengelernt habe, haben diese Privilegien nicht, müssen um Geld, Studium und manchmal sogar Essen bangen. Für viele war Deutschland in ihrer Vorstellung ein Paradies. Und auch obwohl es Armut und Existenzangst auch in Deutschland gibt, stimmt es einfach, dass ein ganz großer Teil hier eben in großem Luxus lebt und sich dessen manchmal gar nicht so bewusst ist, (so wie mir zuvor auch) weil er die Dinge, die er hat, als selbstverständlich ansieht.
Ich kann wirklich glücklich sein in einem Land aufgewachsen zu sein, das mir so viele Möglichkeiten bietet, um die andere mich beneiden und das weiß ich jetzt auch wirklich zu schätzen.
In Malawi hätte ich diese Möglichkeiten sicherlich nicht.
Und doch liebe ich die Kultur der Menschen dort so sehr, die so viel herzlicher und gemeinschaftlicher ist, als die unsere.
In der Teilen und das Kümmern um die Familie ganz selbstverständlich dazugehört.

Ich habe wirklich sehr viel gelernt in diesen 7 Monaten, von den Menschen, von ihrer Art zu Leben und ihrer Sicht auf die Welt und Gott.
Und dem Klischee „Du wirst deinen Horizont erweitern“ muss ich doch schon zustimmen.
Mein Horizont ist erweitert, aber nicht so, wie es viele vielleicht denken würden. Einige haben mir gesagt, bevor ich nach Malawi ging, „dort wirst du sehen wie richtige Armut aussieht und für dich merken, was wirklich wichtig ist im Leben!“
Das zeigt wieder einmal, dass wir Afrikanische Länder so oft nur unter dem Armutsaspekt sehen. Arme Schwarze Kinder, die alles dafür tun würden, um zur Schule gehen zu können, Menschen die nicht genug zu essen haben, Brunnen die gebaut werden müssen, alle Menschen leben dort in„Lehmhütten“ mit Strohdächern und brauchen ganz dringend Hilfe…
Das ist ja auch ganz natürlich, denn die Informationen, die wir bekommen, sind meist von Hilfsorganisationen, die mit dem Leid der Menschen Werbung machen wollen, damit wir spenden.
Aber Afrika ist erstens nicht gleich Afrika, denn Malawi und Ägypten kannst du genauso wenig vergleichen, wie Italien und Schweden, und zweitens hat Malawi auch noch so viele andere Facetten, als das „arme“ Land in Afrika, auf das wir es oft reduzieren. Ja in Malawi gibt es Armut, da will ich auch gar nicht schön reden. Aber die Armut hat für mich nicht Malawi ausgemacht. Ich glaube, dass viele die Häuser meiner Freunde als „arm“ bezeichnet hätten. Am Anfang, habe ich auch noch teilweise so gedacht, aber mit der Zeit wurde es für mich ganz selbstverständlich und die Menschen, die dort gelebt haben, mit mir Essen und Zeit geteilt haben standen für mich im Vordergrund. Vielleicht hatten sie keinen Stuhl oder Tisch, aber das war auch nicht wichtig, denn ich habe mich wohl bei ihnen gefühlt. Ich war dankbar, dass sie mich bei sich aufnehmen, mir ihre Kultur und ihre Werte näherbringen und ich auch ein Teil dieser Kultur werden durfte.
Ich durfte lernen ganz über dem Feuer zu kochen und zu backen, fast nur noch mit den Händen zu essen, vor jedem Essen zu beten, Essen mit Freunden zu teilen, und noch so vieles mehr.

Ich habe Menschen kennengelernt, die wirklich etwas verändern wollen und sich in mehreren Organisationen und Jugendgruppen ehrenamtlich engagieren um über Familienplanung oder HIV und Aids aufzuklären und die Jugend zu unterstützen.
Menschen, die ein bodenloses Gottvertrauen haben, das unerschütterlich scheint, Kinder, die sich natürlich riesig über Schulfrei freuen und öfters auch mal nicht so Bock haben auf Schule:D, Schwestern, die es lieben zu tanzen und zu feiern und die eigentlich viel lieber Glitzerschuhe tragen würden;). Menschen, die ohne ein Musikinstrument ganze Lieder komponieren,
und Mädchen, die heimlich Liebesgeschichten schreiben.

Ich bin wirklich sehr dankbar, all diese Menschen kennengelernt haben zu dürfen, ich bin dankbar für so viel neues, was ich gelernt habe, für so viel Offenheit, für so viele schöne und unvergessliche Momente. Diese Zeit wird für immer in meinem Herzen bleiben.

Ich danke auch Ihnen und euch, dass Sie/ihr mich auf meinem Weg unterstützt und begleitet habt. Ich hoffe, dass ich auch Ihnen/euch einen kleinen und vielleicht neuen Einblick auf Malawi und mein Leben dort habe geben können und Sie/ihr etwas aus meinen Beiträgen für euch mitnehmen konntet.
Bleibt alle gesund und bis hoffentlich ganz bald im realen Leben:D
Tionana!

Zum Schluss noch ein paar Bilder:














 











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