Der
Countdown läuft:
In
genau zwei Wochen sitze ich im Flieger nach Lilongwe und
habe mich für ein
Jahr von
Deutschland verabschiedet, um
ein Jahr in
Ludzi in Malawi zu verbringen. Ich kann es immer noch nicht so
richtig glauben. Langsam beginnen zwar die ersten Abschiede, der 15.
August rückt von Tag zu Tag näher, aber so richtig real erscheint
mir das Ganze
noch immer nicht.
Am
Samstag vor einer Woche fand das Aussendungsfest mit meiner MaZ -
Gruppe in Salzkotten von den Franziskanerinnen statt. Es war der
Höhepunkt unseres letzten Seminars und Abschluss einer intensiven,
wichtigen und wunderbaren Vorbereitungszeit. Bei diesem schönen Fest
waren für mich vor allem die Gesprächen mit ehemaligen Freiwilligen
besonders wertvoll, weil sie uns noch letzte praktische Tipps für
unsere Zeit im Einsatz mitgeben konnten und wir sie mit Fragen
löchern durften. Gaaanz viel leckeren Kuchen gab es auch und den
ersten schweren Abschied von meiner MaZler Gruppe. Das sind
diejenigen, die so wie ich als ,,Missionare auf Zeit” nach Malawi,
Indien, Indonesien, Ost Timor oder Rumänien gehen. Über die
Vorbereitungszeit hatten wir uns als Gruppe echt sehr liebgewonnen.
Unser Abschied |
Meine MaZ-Gruppe bei unserem Aussendungsgottesdienst in Salzkotte |
An
einem für mich sehr wichtigen
Thema aus meinem Abschlussseminar möchte
ich euch teilnehmen lassen. Und
zwar setzten wir uns intensiv mit dem Sinn und Unsinn von
Freiwilligendiensten auseinander.
(Un
-)Sinn von Freiwilligendiensten
Kritik
1:
-
Ein Freiwilligendienst kostet sehr viele Ressourcen, die sinnvoller
eingesetzt werden können.
-
Freiwillige haben keine Kompetenzen zum Helfen.
-
Sie verbrauchen Entwicklungszusammenarbeitsgelder.
-
Das Reden von „Begegnung auf Augenhöhe“ ist Quatsch.
Warum
ist es dennoch sinnvoll?
Wir
als Freiwillige sind besonders nach dem Einsatzjahr Botschafter,
können unsere gewonnenen Eindrücke mit anderen Menschen teilen und
andere zum Perspektivenwechsel anregen, da wir ein Jahr lang
versuchen werden nicht mit der "deutschen,westlichen Brille"
auf die Welt zu schauen, sondern einen kleinen Einblick in die
malawische Sichtweise, bzw. die Sichtweise unseres Gastlandes,
bekommen. Dadurch können wir von einer anderen Perspektive auf die
Welt blicken und somit eine "second story" erzählen.
https://youtu.be/D9Ihs241zeg->
ein ganz tolles Video zu diesem Thema!
Außerdem
können wir nach unserer Rückkehr neue Ressourcen in Deutschland
anwerben, denn die meisten rückgekehrten Freiwilligen setzen sich
auch weiterhin aktiv für ihre Einsatzländer,
die
MaZ-Arbeit und andere soziale Projekte
und Initiativen der
Entwicklungszusammenarbeit ein.
Es stimmt natürlich, dass wir als Freiwillige keine ausgebildeten Lehrer oder Ärzte sind und somit nur kleinere Aufgaben übernehmen können, die nur bedingt helfen. Auch die Partnerorganisationen vor Ort haben erst einmal viel Arbeit mit uns, da wir ja zunächst eingeführt werden müssen und Vieles anfangs nicht verstehen oder falsch machen werden. Dennoch bringen wir Zeit und Aufmerksamkeit mit, die die Lehrer oder anderes Personal oft nicht genug haben, denn wir sind ja zusätzlich da und nehmen keine Arbeitsplätze weg. Nach einiger Zeit kann das schon eine Entlastung für die Menschen vor Ort sein. Es ist außerdem eine tolle Chance für alle, etwas von der anderen Kultur zu lernen.
Wichtig
ist dabei aber, dass wir uns bei der Begegnung bewusst sind, Gäste
in diesem Land zu sein, und dankbar, demütig und wertschätzend mit
den Menschen umzugehen. Dann ist eine Begegnung auf Augenhöhe auch
möglich!
Der
Verzicht auf diese wertvollen Begegnungen ist auch keine Lösung der
Probleme!
Kritik
2:
Freiwilligendienste
bringen eigentlich nur Schaden für die Projekte:
-
durch den permanenten Wechsel von Bezugspersonen
-
finanzielle Abhängigkeit
Warum ist es dennoch sinnvoll?
Die
Abwechslung der Bezugspersonen kann schwierig sein, doch auch hier in
Deutschland sind Wechsel von Lehr- oder Erziehungskräften,
Babysittern oder Aupairs normal und nicht zu vermeiden. Zudem bleiben
die Freiwilligen ein ganzes Schuljahr, wechseln also nicht schon nach
wenigen Wochen, sondern in einem geregelten Rhythmus.
Außerdem
bringen neue Freiwillige Abwechslung, neue, individuelle Methoden und
haben unterschiedliche Qualifikationen und Eigenschaften, die sie
einbringen können. Die Kinder lernen dadurch, sich auf neue Personen
einzustellen und flexibel zu sein. Das ist auch sinnvoll für das
weitere Leben. Wichtig ist nur, keine zu enge Verbindung zu Einzelnen
aufzubauen, denn dann kann der Abschied schon sehr hart und schwer
werden.
Wird ein Projekt von anderen finanziert, schafft das natürlich immer in gewisser Weise eine finanzielle Abhängigkeit. Ohne die Entwicklungszusammenarbeitsgelder könnte sich die Schule in Ludzi sicherlich nicht halten. Sie ist auf das Geld angewiesen. Aber die Gelder schaffen auch große Sicherheit und Perspektiven für diese Projekte. Bildung ist der wichtigste Schlüssel, um sich aus dem Teufelskreis der Armut zu befreien und unabhängig zu werden. Somit wird das Geld sinnvoll investiert. Trotzdem haben diese Förderungen immer Vor- und Nachteile. Aber gar keine Förderung ist auch nicht die Alternative!
Kritik 3:
Vorherrschende
Stereotype werden durch die Freiwilligen doch nur bestätigt.
Außerdem geht es den Freiwilligen nur darum, ein Abenteuer zu
erleben, ihren Lebenslauf aufzubessern und „sich selbst zu finden“:
-
Das
Bild
der/des
Deutschen
/ der/des
Weißen
als
„Übergeordnete*r“
im Land (er/sie
„hilft“ den „armen Kindern in Afrika“)
wird verstärkt.Warum ist es dennoch sinnvoll?
Hier kommt es wirklich ganz besonders darauf an, wie die eigene Motivation aussieht, warum man einen Freiwilligendienst machen möchte, und welche Vorbereitung der/die Freiwillige bekommen hat. Ich würde behaupten, dass viele, die einen Freiwilligendienst in einem Land des globalen Südens1 machen möchten, sich keine bzw. wenig Gedanken darüber machen, was dieser Dienst bedeutet oder was für Auswirkungen er in dem betreffenden Land hat. Mir war das vor ein paar Monaten auch noch nicht ganz klar. Es ging mir zwar nicht um meinen Lebenslauf oder darum, ein Abenteuer zu erleben. Aber auch ich wollte helfen und das nicht hier in Deutschland, wo es genauso Kinder gibt, die Hilfe benötigen. Ich wollte lieber nach Malawi. Mir war klar, ich werde nicht die ganze Welt verändern. Aber ich dachte schon, ich würde richtig nützlich sein und den Menschen dort helfen können.
Ein bisschen stimmt das ja auch, aber eigentlich geht es hauptsächlich um etwas anderes, was ich beim ersten Punkt schon beschrieben habe: Um den Perspektivenwechsel und den gegenseitigen Austausch auf Augenhöhe.
Mit
5 Seminaren und durch tolle Teamer, die alle ehemalige Freiwillige
sind, wurde
ich wirklich sehr
gut auf diesen Dienst vorbereitet. Wir wurden für Rassismuskritik,
rassistischen
Sprachgebrauch und
die postkoloniale Theorie sensibilisiert. Dadurch
können wir nun hoffentlich
der für uns neuen und anderen Kultur sowie
den Menschen dort offener
und wertschätzender
begegnen und nicht mit einer „weißen
Überheblichkeit“, die
meint,
alles besser zu
wissen.
Mein
Weltbild und meine Einstellung zu einem Freiwilligendienst haben sich
durch die Vorbereitung schon jetzt so sehr verändert, und in dem
Jahr werden
sich diese auch sicherlich
noch weiter wandeln.
Man
kann
also während
des Freiwilligendienstes zu „sich selbst finden“, und
das ist auch gut so. Den
die
bisherigen
Einstellungen zu
überdenken
und sich eine
eigenständige Meinung
zu
bilden,
ist
wichtig, um sich nach dem Jahr für die „Eine
Welt“
einzusetzen und andere
zum Umdenken und Nachdenken anregen zu
können.
Das ist nämlich
unsere Hauptaufgabe: Andere Perspektiven, Sichtweisen kennenlernen
und davon
weitererzählen.
Deshalb
haben wir auch die Aufgabe von „Weltwärts“,
4 Zwischenberichte zu schreiben, damit wir unsere Erfahrungen mit
anderen teilen können. Auch zu
diesem Thema wurden
wir während
unserer Vorbereitung für
den richtigen Sprachgebrauch und die Folgen unseres Berichtes
sensibilisiert. Wir
müssen uns fragen: Was
für vorgefertigte Stereotypen und Vorurteile haben unsere Leser und
wir selbst im Kopf, und wie schaffe ich es, diese mithilfe meiner
Berichte, nicht zu bestätigen, sondern auszuräumen und von etwas
anderem, neuem
zu berichten? Vielleicht, indem ich Einheimische zu Wort kommen lasse
und somit ihrer Sicht auf die Dinge ein Sprachrohr verschaffe. Denn
das ist unsere Aufgabe:
Botschafter
sein für unsere „Eine
Welt“!
Soo!
Ich
hoffe, ihr habt nun einen kleinen Einblick in meine Gedanken und
meine Vorbereitungen
für meinen Freiwilligendienst in Malawi bekommen. Vielleicht
konnte
ich auch euch ein wenig zum Nachdenken anregen.
Jetzt
genieße ich noch die letzten zwei Wochen zuhause,
treffe mich die letzten Male mit meinen Freunden und
mit meiner Familie, räume mein Zimmer aus, weil meine Mutter in
diesem Jahr umzieht, packe meine Sachen für Malawi, besorge noch die
letzten Dinge, esse ganz viel Eis, weil ich das in Malawi
wahrscheinlich
nicht kann. Und
ich
wache
jeden Morgen
mit einem
Kribbeln im Bauch, aber auch mit einer
riesigen Vorfreude auf das vor mir liegende Jahr auf.
Macht
es gut und ihr hört von mir aus Malawi!
Tionana!
1 Als Länder des globalen Südens werden die Länder bezeichnet, die im Weltvergleich eine benachteiligte wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Stellung haben. Dieser Begriff löst immer mehr den durch die westlichen Industriestaaten, also die Länder des globalen Nordens, geprägten Begriff „Entwicklungsländer“ ab. Denn die Bezeichnung „Entwicklungsland“ wertet den Status eines Landes nur aufgrund seiner Unterentwicklung der Wirtschaft im Vergleich zu den Industrienationen stark ab.