Donnerstag, 1. August 2019

Der Countdown läuft

Der Countdown läuft:
In genau zwei Wochen sitze ich im Flieger nach Lilongwe und habe mich für ein Jahr von Deutschland verabschiedet, um ein Jahr in Ludzi in Malawi zu verbringen. Ich kann es immer noch nicht so richtig glauben. Langsam beginnen zwar die ersten Abschiede, der 15. August rückt von Tag zu Tag näher, aber so richtig real erscheint mir das Ganze noch immer nicht.

Am Samstag vor einer Woche fand das Aussendungsfest mit meiner MaZ - Gruppe in Salzkotten von den Franziskanerinnen statt. Es war der Höhepunkt unseres letzten Seminars und Abschluss einer intensiven, wichtigen und wunderbaren Vorbereitungszeit. Bei diesem schönen Fest waren für mich vor allem die Gesprächen mit ehemaligen Freiwilligen besonders wertvoll, weil sie uns noch letzte praktische Tipps für unsere Zeit im Einsatz mitgeben konnten und wir sie mit Fragen löchern durften. Gaaanz viel leckeren Kuchen gab es auch und den ersten schweren Abschied von meiner MaZler Gruppe. Das sind diejenigen, die so wie ich als ,,Missionare auf Zeit” nach Malawi, Indien, Indonesien, Ost Timor oder Rumänien gehen. Über die Vorbereitungszeit hatten wir uns als Gruppe echt sehr liebgewonnen.

Unser Abschied

Meine MaZ-Gruppe bei unserem Aussendungsgottesdienst in Salzkotte

An einem für mich sehr wichtigen Thema aus meinem Abschlussseminar möchte ich euch teilnehmen lassen. Und zwar setzten wir uns intensiv mit dem Sinn und Unsinn von Freiwilligendiensten auseinander.

(Un -)Sinn von Freiwilligendiensten

Kritik 1:
- Ein Freiwilligendienst kostet sehr viele Ressourcen, die sinnvoller eingesetzt werden können.
- Freiwillige haben keine Kompetenzen zum Helfen.
- Sie verbrauchen Entwicklungszusammenarbeitsgelder.
- Das Reden von „Begegnung auf Augenhöhe“ ist Quatsch.

Warum ist es dennoch sinnvoll?

Wir als Freiwillige sind besonders nach dem Einsatzjahr Botschafter, können unsere gewonnenen Eindrücke mit anderen Menschen teilen und andere zum Perspektivenwechsel anregen, da wir ein Jahr lang versuchen werden nicht mit der "deutschen,westlichen Brille" auf die Welt zu schauen, sondern einen kleinen Einblick in die malawische Sichtweise, bzw. die Sichtweise unseres Gastlandes, bekommen. Dadurch können wir von einer anderen Perspektive auf die Welt blicken und somit eine "second story" erzählen.
https://youtu.be/D9Ihs241zeg-> ein ganz tolles Video zu diesem Thema!

Außerdem können wir nach unserer Rückkehr neue Ressourcen in Deutschland anwerben, denn die meisten rückgekehrten Freiwilligen setzen sich auch weiterhin aktiv für ihre Einsatzländer,
die MaZ-Arbeit und andere soziale Projekte und Initiativen der Entwicklungszusammenarbeit ein.

Es stimmt natürlich,
dass wir als Freiwillige keine ausgebildeten Lehrer oder Ärzte sind und somit nur kleinere Aufgaben übernehmen können, die nur bedingt helfen. Auch die Partnerorganisationen vor Ort haben erst einmal viel Arbeit mit uns, da wir ja zunächst eingeführt werden müssen und Vieles anfangs nicht verstehen oder falsch machen werden. Dennoch bringen wir Zeit und Aufmerksamkeit mit, die die Lehrer oder anderes Personal oft nicht genug haben, denn wir sind ja zusätzlich da und nehmen keine Arbeitsplätze weg. Nach einiger Zeit kann das schon eine Entlastung für die Menschen vor Ort sein. Es ist außerdem eine tolle Chance für alle, etwas von der anderen Kultur zu lernen.
Wichtig ist dabei aber, dass wir uns bei der Begegnung bewusst sind, Gäste in diesem Land zu sein, und dankbar, demütig und wertschätzend mit den Menschen umzugehen. Dann ist eine Begegnung auf Augenhöhe auch möglich!
Der Verzicht auf diese wertvollen Begegnungen ist auch keine Lösung der Probleme!


Kritik 2:
Freiwilligendienste bringen eigentlich nur Schaden für die Projekte:
- durch den permanenten Wechsel von Bezugspersonen
- finanzielle Abhängigkeit

Warum ist es dennoch sinnvoll?



Die Abwechslung der Bezugspersonen kann schwierig sein, doch auch hier in Deutschland sind Wechsel von Lehr- oder Erziehungskräften, Babysittern oder Aupairs normal und nicht zu vermeiden. Zudem bleiben die Freiwilligen ein ganzes Schuljahr, wechseln also nicht schon nach wenigen Wochen, sondern in einem geregelten Rhythmus.
Außerdem bringen neue Freiwillige Abwechslung, neue, individuelle Methoden und haben unterschiedliche Qualifikationen und Eigenschaften, die sie einbringen können. Die Kinder lernen dadurch, sich auf neue Personen einzustellen und flexibel zu sein. Das ist auch sinnvoll für das weitere Leben. Wichtig ist nur, keine zu enge Verbindung zu Einzelnen aufzubauen, denn dann kann der Abschied schon sehr hart und schwer werden.

Wird ein Projekt von anderen finanziert, schafft das natürlich immer in gewisser Weise eine finanzielle Abhängigkeit. Ohne die Entwicklungszusammenarbeitsgelder könnte sich die Schule in Ludzi sicherlich nicht halten. Sie ist auf das Geld angewiesen. Aber die Gelder schaffen auch große Sicherheit und Perspektiven für diese Projekte. Bildung ist der wichtigste Schlüssel, um sich aus dem Teufelskreis der Armut zu befreien und unabhängig zu werden. Somit wird das Geld sinnvoll investiert. Trotzdem haben diese Förderungen immer Vor- und Nachteile. Aber gar keine Förderung ist auch nicht die Alternative!



Kritik 3:
Vorherrschende Stereotype werden durch die Freiwilligen doch nur bestätigt. Außerdem geht es den Freiwilligen nur darum, ein Abenteuer zu erleben, ihren Lebenslauf aufzubessern und „sich selbst zu finden“:
- Das Bild der/des Deutschen / der/des Weißen als „Übergeordnete*r“ im Land (er/sie „hilft“ den „armen Kindern in Afrika“) wird verstärkt.



Warum ist es dennoch sinnvoll?



Hier kommt es wirklich ganz besonders darauf an, wie die eigene Motivation aussieht, warum man einen Freiwilligendienst machen möchte, und welche Vorbereitung der/die Freiwillige bekommen hat. Ich würde behaupten, dass viele, die einen Freiwilligendienst in einem Land des globalen Südens1 machen möchten, sich keine bzw. wenig Gedanken darüber machen, was dieser Dienst bedeutet oder was für Auswirkungen er in dem betreffenden Land hat. Mir war das vor ein paar Monaten auch noch nicht ganz klar. Es ging mir zwar nicht um meinen Lebenslauf oder darum, ein Abenteuer zu erleben. Aber auch ich wollte helfen und das nicht hier in Deutschland, wo es genauso Kinder gibt, die Hilfe benötigen. Ich wollte lieber nach Malawi. Mir war klar, ich werde nicht die ganze Welt verändern. Aber ich dachte schon, ich würde richtig nützlich sein und den Menschen dort helfen können.
Ein bisschen stimmt das ja auch, aber eigentlich geht es hauptsächlich um etwas anderes, was ich beim ersten Punkt schon beschrieben habe: Um den Perspektivenwechsel und den gegenseitigen Austausch auf Augenhöhe.

Mit 5 Seminaren und durch tolle Teamer, die alle ehemalige Freiwillige sind, wurde ich wirklich sehr gut auf diesen Dienst vorbereitet. Wir wurden für Rassismuskritik, rassistischen Sprachgebrauch und die postkoloniale Theorie sensibilisiert. Dadurch können wir nun hoffentlich der für uns neuen und anderen Kultur sowie den Menschen dort offener und wertschätzender begegnen und nicht mit einer „weißen Überheblichkeit“, die meint, alles besser zu wissen.

Mein Weltbild und meine Einstellung zu einem Freiwilligendienst haben sich durch die Vorbereitung schon jetzt so sehr verändert, und in dem Jahr werden sich diese auch sicherlich noch weiter wandeln. Man kann also während des Freiwilligendienstes zu „sich selbst finden“, und das ist auch gut so. Den die bisherigen Einstellungen zu überdenken und sich eine eigenständige Meinung zu bilden, ist wichtig, um sich nach dem Jahr für die „Eine Welt“ einzusetzen und andere zum Umdenken und Nachdenken anregen zu können. Das ist nämlich unsere Hauptaufgabe: Andere Perspektiven, Sichtweisen kennenlernen und davon weitererzählen. Deshalb haben wir auch die Aufgabe von „Weltwärts“, 4 Zwischenberichte zu schreiben, damit wir unsere Erfahrungen mit anderen teilen können. Auch zu diesem Thema wurden wir während unserer Vorbereitung für den richtigen Sprachgebrauch und die Folgen unseres Berichtes sensibilisiert. Wir müssen uns fragen: Was für vorgefertigte Stereotypen und Vorurteile haben unsere Leser und wir selbst im Kopf, und wie schaffe ich es, diese mithilfe meiner Berichte, nicht zu bestätigen, sondern auszuräumen und von etwas anderem, neuem zu berichten? Vielleicht, indem ich Einheimische zu Wort kommen lasse und somit ihrer Sicht auf die Dinge ein Sprachrohr verschaffe. Denn das ist unsere Aufgabe: Botschafter sein für unsere „Eine Welt“!


Soo! Ich hoffe, ihr habt nun einen kleinen Einblick in meine Gedanken und meine Vorbereitungen für meinen Freiwilligendienst in Malawi bekommen. Vielleicht konnte ich auch euch ein wenig zum Nachdenken anregen.
Jetzt genieße ich noch die letzten zwei Wochen zuhause, treffe mich die letzten Male mit meinen Freunden und mit meiner Familie, räume mein Zimmer aus, weil meine Mutter in diesem Jahr umzieht, packe meine Sachen für Malawi, besorge noch die letzten Dinge, esse ganz viel Eis, weil ich das in Malawi wahrscheinlich nicht kann. Und ich wache jeden Morgen mit einem Kribbeln im Bauch, aber auch mit einer riesigen Vorfreude auf das vor mir liegende Jahr auf.
Macht es gut und ihr hört von mir aus Malawi!

Tionana!









1 Als Länder des globalen Südens werden die Länder bezeichnet, die im Weltvergleich eine benachteiligte wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Stellung haben. Dieser Begriff löst immer mehr den durch die westlichen Industriestaaten, also die Länder des globalen Nordens, geprägten Begriff „Entwicklungsländer“ ab. Denn die Bezeichnung Entwicklungsland“ wertet den Status eines Landes nur aufgrund seiner Unterentwicklung der Wirtschaft im Vergleich zu den Industrienationen stark ab.